Nur ein wertbares Angebot im Vergabeverfahren

Wie gehen Auftraggeber mit der Situation um, wenn nur ein wertbares Angebot vorliegt? Muss das Vergabeverfahren aufgehoben werden, weil kein Wettbewerb vorliegt? Dies soll im Folgenden für den Fall von öffentlichen Ausschreibungen  und offenen Verfahren von Liefer- und Dienstleistungen gemäß UVgO und VgV betrachtet werden.

Gemäß § 63 Abs. S. 2 VgV und § 48 Abs. 2 UVgO ist der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Das heißt es besteht bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens kein Kontrahierungszwang.
Liegt allerdings kein Aufhebungsgrund gemäß § 63 Abs. 1 VgV und § 48 Abs. 1 UVgO vor, steht dem Bieter, der bei Fortsetzung des Verfahrens und Vergabe des Auftrags den Zuschlag erhalten hätte, grundsätzlich ein Anspruch auf Schadenersatz zu.
Hofmann/Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 63 VgV (Stand: 25.03.2019), Rn. 83-85:
Eine nicht von einem der geschriebenen Aufhebungsgründe gedeckte Aufhebung eines Vergabeverfahrens löst Schadensersatzansprüche der Wettbewerbsteilnehmer aus.
  • Ist die Aufhebung mit der Aufgabe des Beschaffungsvorhabens verbunden, kommt nur das sog. negative Interesse in Betracht.
  • Wird der Auftrag (nahezu) unverändert in einem neuen Vergabeverfahren vergeben, kann das Unternehmen, das in dem abgebrochen Vergabeverfahren den Auftrag hätte erhalten müssen, den entgangenen Gewinn beanspruchen. „
Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 48 UVgO (Stand: 01.10.2016), Rn. 6:“Demgegenüber ist eine Aufhebung, die zwar sachlich gerechtfertigt, aber nicht unter einen der Aufhebungstatbestände zu subsumieren ist, rechtswidrig und stellt eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis dar, das zwischen einem Auftraggeber und einem am Auftrag Interesse zeigenden Unternehmen besteht. Folglich kann ein Unternehmen gemäß §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen, der in der Regel die Aufwendungen für die Teilnahme am Vergabeverfahren und im Einzelfall auch den entgangenen Gewinn umfasst. In seltenen Ausnahmefällen kommt auch ein Unterlassungsanspruch in Betracht, der auf die Aufhebung der Aufhebung hinausläuft.
 
BGH, 08.09.1998, X ZR 48 / 97: „Bei Aufhebung einer Ausschreibung ohne Vorliegen eines der [..] Aufhebungsgründe steht dem Bieter, der bei Fortsetzung des Verfahrens und Vergabe des Auftrags den Zuschlag erhalten hätte, grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen zu.
(…)
Der Teilnehmer darf bei einer öffentlichen Ausschreibung darauf vertrauen, daß er eine realistische Chance auf eine Amortisation seiner oft sehr erheblichen Aufwendungen zur Ausarbeitung eines sorgfältig kalkulierten Angebots hat. Die Verletzung dieses Vertrauens bildet den maßgeblichen Grund für die Ersatzpflicht des Ausschreibenden nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo (…).
OLG Saarbrücken, Urteil vom 18. Juni 2014 – 1 U 4/13: Wird eine Ausschreibung wegen fehlender Vergabereife aufgehoben, und der Auftrag später anderweitig vergeben, steht dem Unternehmen, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Zuschlag erhalten hätte, Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses zu.“


Aufhebungsgründe: Gemäß § 63 Abs. 1 VgV und § 48 Abs. 1 UVgO ist der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn
  • kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht,
  • sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat,
  • kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder
  • andere schwerwiegende Gründe bestehen

Liegt ein wertbares Angebot vor, rechtfertigt dies nicht die Aufhebung der Ausschreibung.

VK Schleswig-Holstein VK-SH 24/03: „(…) ein Aufhebungsgrund (…) besteht nicht, da zumindest ein Angebot, nämlich das der Antragstellerin, eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht. Ein Angebot ist nicht nur nach dem Wortlaut (…) ausreichend, um den Aufhebungsgrund nach dieser Vorschrift zu versagen.
Hofmann/Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 63 VgV (Stand: 25.03.2019), Rn. 49: „Nicht einschlägig ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV, wenn nur ein einziges den Bedingungen entsprechendes Angebot übrigbleibt. (…)
Im Einzelfall kann der Auftraggeber aber zu dem Ergebnis kommen, dass fehlender Wettbewerb ein anderer schwerwiegender Grund i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VgV ist. Insoweit ist allerdings Zurückhaltung geboten, weil der Gesetzgeber auch die Situation, dass sich von vornherein überhaupt nur ein Unternehmen am Wettbewerb beteiligt, zumindest nicht ausdrücklich als Grund für eine sanktionslose Aufhebung anerkannt hat.
Die Wirtschaftlichkeit bzw. Unwirtschaftlichkeit hängt im Übrigen in keinster Weise von der Anzahl der eingereichten oder wertbaren Angebote ab. Eine öffentliche Ausschreibung im Unterschwellenbereich bzw. ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich sind Verfahren mit der maximalen Transparenz und dem maximalen Wettbewerbsdruck. Dies wissen auch die Bieter in solchen Verfahren und müssen insbesondere, da es hier keine Verhandlungsrunden gibt, mit dem maximalen Wettbewerb rechnen. Mithin führt dies zu sehr wirtschaftlichen Angeboten im Gegensatz zu beschränkten Verfahren mit einem von vornherein eingeschränkten Bieterkreis. Aus diesem Grund gehören das offene Verfahren und die öffentliche Ausschreibung im Vergaberecht zu den vorrangigen Verfahren. Die Wirtschaftlichkeit bzw. Unwirtschaftlichkeit wird dabei anhand des nach § 3 VgV ordnungsgemäß geschätzten Auftragswertes bewertet.
Ziekow/Völlink/Herrmann, 4. Aufl. 2020, VgV § 63 Rn. 42: „Ein unwirtschaftliches Ergebnis liegt vor, wenn auch das wirtschaftlichste Angebot erheblich über dem Preis liegt, der nach einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV ermittelt worden war.
Ergebnis:
Liegt ein wertbares Angebot vor, und bewegt sich der Angebotspreis im Rahmen der ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV,   rechtfertigt dies nicht die Aufhebung der Ausschreibung wegen Unwirtschaftlichkeit. Falls von Auftraggeberseite die Beschaffungsabsicht weiterhin besteht und  der Auftrag dann nahezu unverändert in einem neuen Vergabeverfahren vergeben wird, kann das Unternehmen, das in dem abgebrochen Vergabeverfahren den Auftrag hätte erhalten müssen, den entgangenen Gewinn beanspruchen.