Besondere Dringlichkeit bei der Beschaffung aufgrund der Covid-19-Pandemie

Am 11. März 2020 erklärte die WHO die bisherige Covid-19-Epidemie offiziell zu einer Pandemie. Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 weist ausdrücklich darauf hin, dass durch die aktuelle Situation der Covid-19-Pandemie die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit sowohl im Ober- wie auch Unterschwellenbereich gegeben sind.  
Damit sind die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (VgV, SektVO, VSVgV), der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb (UVgO) sowie der freihändigen Vergabe (VOL/A)

  • § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV
  • § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO
  • § 12 Abs. 1 Nr. 1 b) VSVgV
  • § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO
  • § 3 Abs. 5 lit. g) VOL/A

erfüllt, soweit es sich um Beschaffungen im Zusammenhang mit Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 handelt. Hierbei muss es sich aber nicht nur um medizinisches Gerät oder medizinische Verbrauchsmaterialien handeln, sondern kann auch z.B. die notwendige IT-Infrastruktur für Homeoffice-Arbeitsplätze, Videokonferenztechnik  etc. umfassen.


Bei öffentlichen Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte (139.000 Euro bei oberen und obersten Bundesbehörden, 214.000 Euro bei allen anderen Behörden) finden sich die maßgeblich anzuwendenden Regeln in der UVgO bzw. in der VOL/A.

§ 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO: Der Auftraggeber kann Aufträge im Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn die Leistung 

  • aufgrund von Umständen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, besonders dringlich ist und 
  • die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sind,


§ 12 Abs. 3 UVgO: Im Falle einer Verhandlungsvergabe nach § 8 Absatz 4 Nummer 9 bis 14 darf auch nur ein Unternehmen zur Abgabe eines Angebots oder zur Teilnahme an Verhandlungen aufgefordert werden.

§ 3 Abs. 5 lit. g) VOL/A: Eine Freihändige Vergabe ist zulässig, wenn die Leistung aufgrund von Umständen, die die Auftraggeber nicht voraussehen konnten, besonders dringlich ist und die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten der Auftraggeber zuzuschreiben sind,

Bei öffentlichen Aufträgen oberhalb der EU-Schwellenwerte (139.000 Euro bei oberen und obersten Bundesbehörden, 428.000 Euro bei Sektorenauftraggebern, 428.000 Euro für den Bereich Verteidigung und Sicherheit, 214.000 Euro bei allen anderen Behörden) finden sich die maßgeblich anzuwendenden Regeln in der VgV, SektVO, VSVgV.
§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV: Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn 

  • äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, 
  • die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, 
  • es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind; 
  • die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein,


§ 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO Der Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschriebenen sind; die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem Auftraggeber nicht zuzurechnen sein;

§ 12 Abs. 1 Nr. 1 b) VSVgV:  Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist zulässig bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, wenn die Fristen, auch die verkürzten Fristen gemäß § 20 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 2, die für das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind, nicht eingehalten werden können, weilaa) dringliche Gründe im Zusammenhang mit einer Krise es nicht zulassen oder
bb) dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die Auftraggeber nicht voraussehen konnten, dies nicht zulassen. Umstände, die die zwingende Dringlichkeit begründen, dürfen nicht dem Verhalten der Auftraggeber zuzuschreiben sein;
Findet ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund einer besonderen Dringlichkeit Anwendung entfällt gemäß § 134 Abs. 3 S. 1 GWB die Informationspflicht mit der üblichen Wartefrist von 10 Kalendertagen. Der Auftrag kann ohne Wartefrist vergeben werden.

§ 134 Abs. 3 S. 1 GWB: 
Die Informationspflicht entfällt in Fällen, in denen das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit gerechtfertigt ist. 

Angebotsfristen für das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit

Die Angebotsfristen beim Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit dürfen die in § 17 Abs. 8 VgV aufgeführten Mindestfristen von zehn Kalendertagen beim Vorliegen einer hinreichend begründeten Dringlichkeit deutlich unterschreiten.
Für den Fall, dass eine hinreichend begründete Dringlichkeit die Einhaltung der Angebotsfrist gemäß Absatz 6 unmöglich macht, kann der öffentliche Auftraggeber eine Frist festlegen, die zehn Tage, gerechnet ab dem Tag nach der Absendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe, nicht unterschreiten darf. Das Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie schreibt in seinem Rundschreiben vom 19.03.2020 dazu:
Aufgrund seines besonderen Ausnahmecharakters sind damit beim Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach Würdigung der Gesamtumstände auch sehr kurze Fristen (bis hin zu 0 Tagen) denkbar.

Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 schreibt dazu:
Diese Situation wird zunehmend zu äußerst kurzfristigem Beschaffungsbedarf führen, bei dem aufgrund der bestehenden Gefährdungen fundamentaler Rechtsgüter (Leben und Gesundheit) Aufträge zügig vergeben und ausgeführt werden müssen. Zusätzlich wesentlich erschwert wird die Situation durch Marktverknappung und zunehmenden Mangel an verfügbaren Leistungen (primär bei medizinischem Material). In dieser Situation sind die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für den Einkauf von Leistungen über Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerbgegeben, dieder Eindämmung und kurzfristigenBewältigung der Corona-Epidemieund/oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs der öffentlichen Verwaltung dienen. Dies wird z.B. für die Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterialien, Tupfer, Bauchtücher und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte sowie für in diesen Krisenzeiten notwendige Leistungen (etwa mobiles IT-Gerät z.B. zur Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen, Videokonferenztechnik und IT-Leitungskapazitäten) anzunehmen sein; diese Aufzählung ist aber nicht abschließend.

 

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